Mittwoch, 18. Juli 2018

Catenaccio 2.0



Der Tod des schönen Fußballs
 Otto Rehhagel sagte einmal: „Modern spielt, wer gewinnt.“ Ein Statement, das diese Tage auch gut von einem anderen hätte kommen können: Didier Dechamps – Der Weltmeister – als Spieler und jetzt auch als Trainer – musste sich im Laufe des Turniers schon des Öfteren wegen seiner – leicht defensiven – Spielweise rechtfertigen. Doch was soll man denn sagen, es stimmt ja. Nüchterner Ergebnisfußball schlägt Leidenschaft und Individualismus. Die Zeiten von Hacke, Spitze, eins, zwei, drei sind passé. Jetzt wird Beton angerührt. In der Praxis sieht das dann so aus: die Mannschaft die 1:0 führt steht mit fast allen Feldspielern im eigenen Strafraum, holzt den Ball nach vorne und hofft, dass ein Konter eingeleitet wird. Die andere Mannschaft spielt derweilen verzweifelt und einfallslos um den Sechzehner herum und kommt nicht zum Abschluss. Auf das Elementarste runtergebrochen könnte man auch sagen: „Die einen können nicht, die andern wollen nicht.“ Spielaufbau ist out – Spiel zerstören ist angesagt. 
Und wenn man jetzt nicht unbedingt Franzose oder irgendsoein Taktikfuchs ist, dann könnte man anfangen zu weinen. Denn: es ist in 90 Minuten gepresste Langeweile und eine solche Qual, dass man sich zum Hinsehen zwingen muss. 
Eigentlich dachte ich, dass Catenaccio im Jahr 2018 das Relikt einer dunklen Vergangenheit ist. Doch wider Erwarten hat diese Spielweise eine Renaissance erlebt. Im Grunde unvorstellbar und fast ironisch in Zeiten von Guardiola und Co.: Fußballphilosophen, die Ballbesitz predigen und sich selbst als Verfechter des schönen Fußballs verstehen. Allerdings konnte ihre Spielweise, wenn man ganz ehrlich ist, in den letzten Jahren keine großen Erfolge mehr auf internationaler Bühne feiern. Die Champions League wurde in den letzten Jahren von einem bärenstarken Real Madrid dominiert, die den Konterfußball perfektioniert haben. Und ein sehr defensiv eingestelltes Portugal wurde 2016 Europameister gegen – und hier schließt sich der Kreis – Frankreich. Denn les bleus haben fast genau so gespielt, wie ihre Gegner von vor zwei Jahren. Dechamps hat also gelernt … und gewonnen.
Was bleibt ist der Equipe Tricolore zu gratulieren und gleichzeitig zu hoffen, dass es bald wieder spannend und schön wird. Ich für meinen Teil will endlich wieder Hackentricks, Übersteiger und Tiki-Taka sehen. Denn – machen wir uns doch nichts vor – Fußball soll doch unterhalten.

Illustration: Marc Ramage
Text: Carsten Wodtke

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