Dieses große Fußballereignis bringt ein seltsames Phänomen
mit sich. In geradezu irrationaler Geschwindigkeit eignet sich unser Gehirn
völlig unnützes Wissen an. Wir kennen alle Namen des deutschen Kaders, der
Betreuer, wahrscheinlich noch die Namen der Spielerfrauen, sind aber kaum in
der Lage die Namen der aktuellen Kabinettsmitglieder aufzuzählen. Leider
funktioniert dieses Phänomen nur im Fußballkontext und nicht beim
Vokabellernen.
Nach dem Scheitern der Nationalelf fallen uns besonders
schnell die Namen der vermeintlichen Schuldigen ein. Schland ist raus. Und
irgendjemand muss den schwarzen Peter haben. Von Löw bis Bierhoff sind alle
Namen gefallen: Özil, Khedira oder Hummels, der den entscheidenden Kopfball
nicht reingemacht hat. Inwieweit Horst Seehofers Rücktritt als Sportminister mit
dem Ausscheiden der Nationalelf zusammenhängt, ist noch unklar. Ebenso wie die
Politik ist der Fußball das Reich der großen Pauschalsätze. „Sich reinhängen“,
„aus der Tiefe des Raumes gegen den Ball spielen“ und „Verantwortung
übernehmen, alles geben“. Hat offenbar nicht funktioniert. Und ehrlich gesagt,
ich bin ein wenig erleichtert. Noch so ein Spiel wie gegen Schweden hätte mich
echt gefordert – nervlich und konditionell. Wir hatten in den vergangenen
Jahren viel Spaß mit dieser Mannschaft, die 2010 erfrischend aufspielte und von
der wir damals gar nicht so viel erwarteten. Wir haben großartige Spiele
gesehen, gegen Portugal, gegen Argentinien, gegen Brasilien. Jetzt sind halt
mal die anderen dran – die Kroaten, vielleicht die Engländer oder wie wäre es
mal mit der Schweiz als Weltmeister?
Freuen wir uns auf unterhaltsame, nicht minder
nervenaufreibende Spiele. Darüber, dass erwachsene Männer sich mit
vorgehaltener Hand Geheimnisse anvertrauen, eine Technik, an der ich bereits in
der 3. Klasse während eines Mathetests gescheitert bin. Und über die
Lieferanten des unnützen Wissens, das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Dieses
besinnt sich wieder auf seine Kernkompetenz und nach monatelangen
Wiederholungen von „Stachelschwein, Amsel und Gnu“ werden knallharte Fakten
geliefert und ganz wichtige Fragen beantwortet: „ Wie viele Standards braucht
man bis zum Tor?“, „Fallen Tore eher wenn sich der Torschütze vorher ans rechte
Ohr gefasst hat?“ oder „Wann wird der Rundfunkbeitrag für den Videobeweis
erhoben?“ Am besten gefällt mir das neue Dreigestirn des ZDF: Oliver Welke,
Oliver Kahn und Holger Stanislawski – oder, wie Oliver Welke ihn zärtlich nennt,
„der Stani“. Virtuos erklärt letzterer virtuell, warum jenes Tor fallen konnte
und jenes nicht. Jede Mannschaftsbewegung vom Toilettengang bis zur Trinkpause
über die Einwechslung wird analysiert und diskutiert. Wenn diese Technik nur
ein paar Tage für die Koordination der Arbeiten am Flughafen BER genutzt würde,
nächste Woche wäre Eröffnung.
Text: Judith Müller-Krohn
Illustration: Marc Ramage
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