Die erste Weltmeisterschaft an die ich mich erinnern kann,
war 1978. In der Küche ließ meine Mutter morgens immer SWF 1 (Ja, so hieß das
damals) laufen, Udo Jürgens wünschte im Chor mit der Nationalelf dem
Gastgeberland einen guten Tag und die Deutschen flogen gegen Österreich raus.
1978 trugen die Spieler so kurze Hosen, dass es heute
peinlich wirkt. Wenn meine Söhne in solchen Hosen heute rausgehen würden – ich
würde es ihnen verbieten. Es gab keinen „Bomber der Nation“ mehr, eine
Bezeichnung, die ohnehin heute nicht zum Hashtag taugen würde und neben dem Mut
zur Beinfreiheit gab es den Mut zum Haarwuchs. Das Gesicht wurde klar von Koteletten
begrenzt, gerne gesehen war der Schnauzbart, der Wuschelkopf, vor allem trug
man es im Nacken lang. Alles wirkte irgendwie uneitel und unaufgeregt.
Wahrscheinlich wuschen alle ihr Auto noch selbst und mähten in der Freizeit den
Rasen hinter dem Reihenhäuschen.
1990 dachte ich noch, alle Fußballreporter tragen Anzug mit
Krawatte und begrüßen jeden mit „Nabendallerseits“. Der nachdenkliche
Beckenbauer, der versonnen über den römischen Rasen wandert; dann die wehenden
blonden Haare von Jürgen Klinsmann, den meine Mitbewohnerin nur liebevoll
„meinen Klinsi“ nannte und deren Augen dabei einen seltsam glasigen Ausdruck
bekamen. Praktischerweise fand sie alle Spiele so dermaßen aufregend, dass sie
nicht zuschauen konnte. Zur Ablenkung hat sie dann immer die Küche geputzt.
Für mich beginnt eine Weltmeisterschaft also erfahrungsgemäß
mit einem Sieg der Nationalelf. Diese hier hat für mich noch nicht angefangen, es fehlt ein wenig die Vorfreude auf das nächste Spiel. Statt Udo Jürgens
singen nun Clueso und die Fantas, dass man zusammen groß und alt sei. Diese
Mannschaft war 2014 zusammen groß, nun sind sie zusammen alt. Die ungewohnte Situation
bietet allerdings auch die Möglichkeit mal festzustellen, was andere Mannschaften
so an Unterhaltungswert bieten. Da ist zum Beispiel die Perücke von Neymar, die
er sich offensichtlich von Donald Trump geliehen und mit einer Dauerwelle versehen
hat. Meine neue Lieblingsmannschaft ist der Senegal. Männer, die so elegant
tanzen können, sollten unbedingt Weltmeister werden. Oder Island. Tanzen zwar
nicht, klatschen aber. Um den vom Prinzen ausgemusterten Torwart der Saudis
mache ich mir allerdings ein wenig Sorgen. Hoffentlich endet seine Fußballkarriere
nicht als Kioskbesitzer in Riad.
Beim Körperschmuck geht der Trend der Tätowierungen ganz
klar zum rechten Arm. Wahrscheinlich hält man dort die wichtigen taktischen
Vorgaben fest: Heute ein Tor mehr schießen als der Gegner. Links ist dein
schwacher Fuß, schieß lieber mit rechts. Blaues Trikot anziehen.
Überhaupt kein Tattoo hat ja wohl Ronaldo, angeblich, weil
er sonst kein Blut mehr spenden könnte. Die Vorstellung eines blutspendenen
Ronaldos gefällt mir außerordentlich. Man stelle sich nur mal vor - durch
welche Umstände auch immer - ich würde
eine dieser sicher begehrten Blutkonserven erhalten. Bevor ich dann ein Ei in
die Pfanne haue, gehe ich erst mal drei Schritte zurück, stelle mich breitbeinig
hin, nehme Anlauf und haue das Ei in die linke Ecke. Anschließend laufe ich
triumphierend schreiend durch die Küche und recke die Faust Richtung Decke.
Text: Judith Müller-Krohn
Illu.: Marc Ramage
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